Die Zeit und ihre Geschichten
Mit Heidi Mondl, St. Pöltnerin, Zeitzeugin und Bürgertheaterschauspielerin auf Spurensuche im Museum Niederösterreich in St. Pölten.
Die spannendsten Geschichten erzählt das Leben
Heidi Mondl lacht viel und erzählt von früher. Dass damals nicht alles besser war. Aber auch nicht schlechter. Geboren am 21. April 1939 in St. Pölten, hat sie viel Geschichte selbst erlebt. Deshalb war Heidi Mondl im Museum Niederösterreich auch schon öfter als „Zeitzeugin" zu Gast, um aus ihrem Leben und der Geschichte der Landeshauptstadt zu berichten. Frau Mondl hat übrigens als Ensemblemitglied des Bürgertheater St. Pölten unter der Leitung Felix Mitterers auch im Stück „Glanzstoff“ mitgespielt und ist eine unglaublich fitte, lebensfrohe, ja fast spitzbübische Dame. Mit „der Glanzstoff“, zeitweise zweitgrößter Viskosefaserlieferant der Welt und eine mittlerweile schon geschlossene Fabrik in St. Pölten, verbindet sie eine lange Geschichte.
Hineingeboren in eine schwere Zeit, erzählt sie von der Kälte in den Baracken der Fabrik, wo sie gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Stiefbrüdern lebte. Von chronischen Blasenentzündungen und Wänden dünn wie Karton. „Im Winter, müssen‘s ihnen vorstellen, war die Wand ganz weiß – vor Eis. Das kann man sich gar nicht mehr vorstellen“, meint sie kopfschüttelnd. „Der Karl hat sich den Rucksack umg‘hängt, hat mi abbusselt – des weiß i noch ganz genau – und dann is er gegangen. Wink, hat die Mama immer wieder g‘sagt. Wink ihm,“ erzählt sie über den Abschied von ihrem älteren Stiefbruder. Heimgekommen ist er nie wieder. Heidi Mondls Vater hatte mehr Glück. Die Glanzstoff meldet Bedarf an dem Elektriker an. An ihren Vater erinnert sie sich als liebevollen, großherzigen und ewas unkonventionellen Mann.
„Mit 3 war i zum ersten Mal in der Glanzstoff drin. Mein Papa hat da ein Weihnachtsfest für die Kinder organisiert. Eine Fetzenpuppe hab i damals bekommen.“
Ein Haus voller Geschichte(n)
So assoziativ wie Heidi Mondl erzählt, so ähnlich ist auch das Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich aufgebaut. Thema schlägt Zeitstrahl, wenn auch nur im großen Ganzen gesehen. „Die einzelnen Themencluster sind natürlich wieder chronologisch geordnet,“ erzählt Anna Kieninger, Koordinatorin der Kulturvermittlung im Museum beim Rundgang durch die Ausstellungsräume. Das spricht besonders Familien und Schulgrupppen an, die Themen so besser konsumieren können. Aber auch das ältere Publikum kann so gezielt in Welten eintauchen – und entweder in Erinnerungen stöbern, oder aber neue Aspekte kennenlernen.
Ein Haus für Menschen
Im sogenannten „Forum Demokratie" ist es laut: die aufgeregten Stimmen einer Schulgruppe, die begeistert und vor Ideen strotzend eigene Parteien gründet, Werte definiert und brennende Reden schwingt. Die erhitzten Gemüter, die um jedes Kreuzerl kämpfen, das sie hoffentlich in den eigens installierten Wahlkabinen bekommen. „Dieser Enthusiasmus ist wirklich ansteckend,“ erzählt Anna Kieninger, die unter anderem auch diese altersgerechten Workshops leitet. „Aber an den interaktiven Stationen könnten die Kinder und Jugendlichen ganze Tage verbringen;“ fügt sie schmunzelnd hinzu.
„In thematischen Clustern kann man besser die Dinge zeigen, die sich im Laufe der Geschichte geändert haben. Plötzlich sieht man die Zusammenhänge deutlicher.“
Zahlreiche thematische Cluster wie „Selbstbild-Fremdbild“, „Im Gleichschritt ausgelöscht“ oder „Flucht und Wanderung“, Foren, interaktiven Stationen und Spiele sowie Reflexionszonen laden zum Gedanken sortieren und Mitmachen ein. Besonders beliebt bei der Jugend ist etwa das Forum Medien. Und besonders aktuell ist es außerdem. Macht und Meinung stehen im Zentrum. Wie werden Bilder, Worte und Gesten manipuliert – und wie manipulieren sie uns? Das Stichwort Fake News fällt. Um die Wichtigkeit des Hinterfragens und Meinungsbildens zu demonstrieren, rollen SchülerInnen einen fiktiven Fall mit fiktiven Zeitungs- und TV-Berichten sowie erfundenen Social Media Beiträgen auf. „Das zeigt den jungen Menschen recht nachhaltig und deutlich, wie wir uns beeinflussen lassen durch dieses Bombardement der Medien,“ so Anna Kieninger.
Historisches Gedächtnis
Bombardement. Ein Stichwort für Frau Mondl. Sie erinnert sich sofort an das schnelle Zusammenpacken der Geburtsscheine, den Griff nach den Gasmasken, von denen keiner wusste, ob sie dicht sind, und die Zeit im Keller. Dort saß sie dann mit ihrer Mutter, wenn die Tiefflieger über St. Pölten donnerten. Der Vater hatte – wie so oft – andere Pläne. „Der ist immer rauf auf den Kremser Berg und hat zug‘schaut, wie St. Pölten bombardiert wird. ‚I hock mi ned in Keller,‘ hat er immer gesagt,“ fügt Frau Mondl lächelnd hinzu.
Ein Haus für die Natur
Das Haus für Natur empfängt unmittelbar nach dem Haus der Geschichte seine Besucher hell, offen und sehr lebendig. Man betritt ein wahrlich anderes Ökosystem und taucht in Niederösterreichs Flora und Fauna ein. Zuerst besteigen wir das Hochgebirge und verschaffen uns zwischen Gämsen und Adlern einen Überblick. Unter uns wartet bereits das große Becken, in dem Welse, Hechte, Karpfen und kleiner Fische wohnen. Das Becken ist einem Seitenarm der Donau nachgebildet. Noch weiter unter werden wir eine Tropfsteinhöhle entdecken: Vom Ötscher runter bis in die Erde hinein wird ein Querschnitt gezeigt. Die Wohlfühlatmosphäre des Museums genießen offensichtlich auch die Tiere hier: Zahlreiche Tier-Babys wurden in der kurzen Zeit bereits geboren, auch ein Ameisenstamm lebt im Museum.
Fächerübergreifend auf allen Ebenen
Ca. 15.000 Besucher strömen jeden Monat seit der Eröffnung ins Museum Niederösterreich, es sind mehr als 2.000 Exponate im Haus der Geschichte zu bestaunen und im Haus für Natur leben über 40 verschiedene heimische Tierarten. Interdisziplinäre Zusammenarbeit wird hier gelebt. Das merkt man gleich, denn Anna Kieninger erzählt genauso viel Spannendes über Niederösterreichs Natur wie über die Geschichte, ihren eigentlichen Fachbereich. „Wir sind zwei Häuser unter einem Dach und wir gehören wirklich zusammen. Wir befruchten uns gegenseitig. Einerseits die Umwelt, die Natur, das Gesamte – und der Mensch, der Einfluss darauf nimmt. Aber auch umgekehrt. Das soll unser Haus verdeutlichen,“ erzählt Anna Kieninger. Dass man das hier wirklich so empfindet, liegt vielleicht auch am von Hans Hollein erdachten Haus, das entspannt und großzügig ist, das aber gleichzeitig zum Stöbern und Herumtoben einlädt, zum Entdecken und Erfahren. Es ist ein Ort des Wissens und des Lebens. Und das strahlt jeder Winkel des Hauses auf wundersame Weise aus.
Text und Fotos: Magda Bauer, Buero Bauer&Band
Kontakt
Niderösterreichische Museum Betriebs GmbH
Museum Niederösterreich
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