Kellergasse in Falkenstein

(c) Weinviertel Tourismus/Krönigsberger

Wo der Wein wohnt

Der Wein ist die Seele des Weinviertels. Eine Seele, die ihr auch tief unter die Haut geht – und zwar im wahrsten Sinn des Wortes: gibt es doch kaum einen Weinort im Weinviertel, der nicht seine eigene Kellergasse in die Erde gegraben hätte.

Wie eine Höhenlinie folgt die Diepolzer Kellergasse der Landschaft

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Rund 3.800 Weingüter produzieren ein Drittel allen Weins in ganz Österreich. Und doch ist der Wein im Viertel zwischen Wien, Tschechien und der Slowakei viel mehr als nur ein Namenspatron oder ein simpler Wirtschaftsfaktor. Denn der Wein hat hier auch die Landschaft nachhaltig geprägt. Einerseits durch die schier endlosen Weinrieden, andererseits durch die Weinkeller, die am Rande der Ortschaften entstanden sind: Die Kellergassen im Weinviertel sind heute ein weltweit einzigartiges Weinkulturgut.

Eine Kellergasse ist ein Dorf neben einem Dorf, mit schlichten, meist weiß gestrichenen Häusern, die dicht an dicht stehen. In ihnen gibt es aber keine Küchen, Wohnräume oder Bäder. Dafür aber Weinpressen – man nennt die Gebäude daher auch Presshäuser. Und hinter dem Raum mit der Weinpresse beginnt dann erst der eigentliche Keller. Eine oder mehrere Erdröhren, die sich manchmal wie ein Labyrinth hunderte Meter weit unterirdisch in den Weinberg ausdehnen und in denen der in Fässer gelagerte Wein still seiner Vollendung harrt. Dass es gerade im Weinviertel so viele Kellergassen gibt, hat einen handfesten geologischen Grund: In die hier verbreiteten weichen Lössböden konnten die Weinkeller vergleichsweise einfach gegraben werden. Rund 800 werden aktuell gezählt, ganz kurze, aus nur ein paar Kellern bestehende, aber auch solche wie in Hadres, wo sich auf 1,3 Kilometern mehr als 350 Keller dicht aneinander reihen.

Der Löss ist ein kurioses Gestein: Einerseits so weich, dass sich Brocken mit der Hand zu Staub zermahlen lassen. Andererseits so stabil, dass die Keller dem Zahn der Zeit standhalten können.

Direkt in die Lösswand gegrabene Keller

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Hergeweht wurde der Löss gegen Ende der Eiszeit vom Wind, der den gelben, lehmigen Sand aus den Schotterterrassen der Flüsse ins Weinviertel verfrachtet und hier zu mächtigen Schichten aufgetürmt hat. Auf diesen fruchtbaren Böden wächst der Wein besonders gut, denn seine tiefreichenden Wurzeln finden hier auch in heißen, trockenen Sommerperioden immer ausreichend Wasser und Nährstoffe.


Maria und Josef sei Dank!

Der zweite Grund für die Weinviertler Kellergassenvielfalt hat historische Gründe: in der Region wurde schon seit dem Hochmittelalter Wein kultiviert, aber die Weingärten gehörten meist dem Adel, den Klöstern und einigen wenigen städtischen Händlern – die Weinkeller aus dieser Zeit sind große Zehentkeller sowie die großen Kelleranlagen unter den Städten wie zum Beispiel in Retz. Vor allem unter Maria Theresia und ihrem Sohn Josef II. änderten sich die Besitzverhältnisse dann radikal. Mit der Aufhebung der Leibeigenschaft (1781) und der Zirkularverordnung (1784), die es Bauern erlaubte, ihren selbst hergestellten Wein auch selbst zu verkaufen, wurde der Weinbau auch für kleine Höfe eine einträgliche Verdienstmöglichkeit. Freilich musste nun auch jeder für die Lagerung seines Weines sorgen und in den fertigen Strukturen der Dörfer fand sich eigentlich kein Platz mehr für weitere Wirtschaftsgebäude.

Zweiflügelige Eingangstür

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Regenwolken hängen in den Bergen

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Gehen in kleinen Gruppen

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Kellergasse Wildendürnbach

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Im Weberkeller Röschitz dient der Löss als Leinwand für geschnitzte Kunstwerke

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Kellergassen sind die perfekte Symbiose von naiver Architektur, Funktionalität und Landschaft.

Dörfer ohne Rauchfang

Die Lösung war, die Keller außerhalb des Ortes zu errichten, und zwar nicht in Einzellage, sondern, um die Nachbarschaftshilfe und die Kontrolle zu erleichtern, im Verbund. Die ersten Kellergassen entstanden wohl zu Beginn des 18. Jahrhunderts, so erwähnt etwa die Chronik von Haugsdorf 1701 die ersten Keller in der „Großen Kellertrift“; während des 19. Jahrhundert bis hin zum Beginn des Ersten Weltkrieges entstand ein großteil der heute noch erhaltenen Kellergassen. Der Standort wurde stets klug gewählt. Die meisten Kellergassen liegen auf dem Weg zum Weingarten oder direkt in den Rieden, aber nicht zu abgelegen, denn der Weg zur Arbeit und zum Haustrunk sollte ja nicht zu weit entfernt von den Wohngebäuden sein. Mal begleiten die Kellergassen Terrassenkanten und verlaufen wie Höhenlinien horizontal zum Hang. Mal folgen sie den ausgetretenen Pfaden, die hinauf zum Weinberg führen. Dann wieder schmiegen sie sich in Hohlwege, machen dabei brav jede Krümmung und jede Biegung mit.

Im Bauch der Erde

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Im Bauch der Erde fühlt sich der Wein besonders wohl.

Form follows function

Ebenso schlau wie die Lage ist die Anlage. Auch wenn die Presshäuser heute sehr pittoresk wirken, waren es doch ursprünglich reine Zweckbauten. Ein Presshaus besteht aus einem einzigen Raum, in dem die große Baumpresse aus Eichenholz und eine kleine Sitzecke Platz haben. Es gibt drei Öffnungen nach außen: Die zweiflügelige Eingangstür, bei der die linke Hälfte durch ein Eisen- oder Holzgitter verschlossen werden kann, durch das auch die Gärgase nach außen entweichen. Das Gaitloch in Bodennähe, durch welches die Trauben in das Presshaus befördert wurden. Und die Fenster, die auch aus klimatechnischen Gründen mehr Luftschlitze als Lichtöffnungen sind. Über den sogenannten Hals geht es in den eigentlichen Weinkeller, in dem perfekte Bedingungen für den Wein herrschen. Die dicke Erdschicht über dem Erdkeller sorgt das ganze Jahr über für gleichbleibende Temperaturen von 8 bis 12 Grad Celsius. Die relative Luftfeuchtigkeit beträgt ideale 70 bis 80 Prozent. Für frische Luft und Ausgleich der Luftfeuchtigkeit dienen Dampfröhren nach oben, deren Abschlusssteine an der Erdoberfläche wie steinerne Maulwurfshügel wirken.

Meisterwerke des Einfachen

Errichtet wurden die Presshäuser ohne größere Planung, heute würde man sagen „aus dem Bauch heraus“ und mit den einfachsten Mitteln – der Bau durfte schließlich nicht kostspielig sein. Die Mauern wurden aus ungebranntem Lehm oder aus Ziegeln errichtet, der Kalk- oder Lehmputz jedes Jahr mit Kalkmilch geweißt. Für den Anstrich der Türen wurde gerne das blau-grüne Kupfervitriol verwendet, das ist übrigens gleichzeitig jenes Mittel, das die Reben vor dem Mehltau schützt. Und Recycling war auch damals schon gefragt: Die Flacheisen für die Fenstergitter waren oft gesprungene Fassreifen.

Einfachste Formen mit den einfachsten Materialien

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Das menschliche Maß und die Schlichtheit der Ausführung sind das, was wir heute ob seiner Schlichtheit auch als schön wahrnehmen.

Aus dem Dornröschenschlaf erwacht

Auch in den Kellergassen ist die Zeit nicht stehengeblieben. Ein moderner Weinbaubetrieb findet trotz der idealen Lagerbedingungen in den alten Weinkellern kaum mehr Platz. Zu klein sind Presshaus und Kellerröhre für die großen Maschinen und technischen Gerätschaften geworden, zu aufwändig wäre eine Adaption für die moderne Kellereitechnik. Und so benützen nur mehr kleinere Weingüter ihren Weinkeller in der Kellergasse zum ursprünglichen Zweck. Nachdem die Kellergassen dadurch oft ihrer ursprünglichen Funktion beraubt wurden, fielen viele von ihnen für eine längere Zeit in einen Dornröschenschlaf. Erst in den letzten Jahrzehnten entwickelte sich wieder zunehmend ein Bewusstsein für den Wert und die Einzigartigkeit der Presshäuser und der Kellergassen, und so mancher Winzer betreibt in der Kellergasse heute seinen Heurigen. Beim „Heurigen“ werden die Weine des Hauses ausgeschenkt, dazu werden einfache, kalte Fleischspeisen, Pasteten, Aufstriche, Käse und Bauernbrot gereicht.

Heurigenstimmung in der Kellergasse Falkenstein

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Von Köllamaunan und der Grean

Das mit dem Heurigen kommt nicht von ungefähr: Die Kellergassen waren schon in früheren Zeiten nicht nur Arbeitsstätten, sondern auch Fixpunkte im sozialen Gefüge der Dorfgemeinschaften. Hier haben sich über die Jahrhunderte verschiedene Sitten und Bräuche entwickelt. „Köllapartien“ oder „Köllastunden“ nennt man die Treffen, bei denen die „Köllamauna“ – die Kellermänner – zusammensaßen, um nicht nur vom Wein zu kosten, sondern auch um Neuigkeiten auszutauschen oder Geschäfte zu machen. Rund um den 11. November wird in der Kellergasse das Martiniloben gefeiert und zu Ostern bitten die Winzer ihre Lesehelfer dann zur „Grean“ in die Kellergasse – um den aktuellen Jahrgang einem ersten fachmännischen Test zu unterziehen und zugleich noch einmal für die Mitarbeit im vergangenen Herbst zu danken.


Text: Wolfgang Gemünd
Fotos: siehe Fotocredit-Angaben in den Bildern

Kontakt

Die Weinviertler Kellergassen erkundet man am besten wandernd oder beim Radfahren auf den gut beschilderten Radrouten, die immer wieder auch durch Kellergassen führen. Infos und Broschüren dazu und zum Urlaub beim Winzer, zu Weinverkostungen und zu Heurigenterminen erhalten Sie bei

Weinviertel Tourismus
Wiener Straße 1
2170 Poysdorf
T +43 2552/3515
www.weinviertel.at

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